Der juristische Arbeitsmarkt steht an einem Wendepunkt. Die Spannbreite bei den Einstiegsgehältern für Konzipient:innen in Wien mag auf den ersten Blick groß wirken – doch sie spiegelt eine Branche wider, in der sich gerade vieles verschiebt: Ein teilweiser Aufnahmestopp in der öffentlichen Verwaltung verändert das Machtgefüge am Arbeitsmarkt, während KI-Tools zunehmend Aufgaben übernehmen, die früher zum klassischen Alltag junger Jurist:innen gehörten.
Dr. Scheuwimmer – Präsident des Juristenverbandes, Rechtsanwalt und Gründer der internationalen Kanzlei TAIYO Legal – gibt im Interview Einblick in die neuen Spielregeln für Berufseinsteiger:innen: Was zählt heute wirklich bei der Kanzleiwahl? Wie realistisch ist die Angst vor KI-Konkurrenz? Und warum sich eine fundierte Ausbildung mehr lohnt als ein täglicher Pumpkin Spice Latte.
Ein Gespräch über Chancen, Risiken – und den Mut, langfristig zu denken.
Herr Dr. Scheuwimmer, Sie beobachten den Markt sehr genau – wie würden Sie aktuell die Situation für Berufseinsteiger:innen in Anwaltskanzleien beschreiben?
Der Markt ist gerade im Begriff sich zu bewegen. Das Budget 2025 sieht für das Justizressort zwar eine Steigerung der Mittel um etwa EUR 82 Millionen vor; für 2026 um etwa EUR 10 Millionen. Bei den Planstellen in der Justiz ist jedoch kein Zuwachs vorgesehen; Der aktuelle Stand von 12.516 soll bis 2029 fortgeschrieben werden. Das ist deswegen relevant, weil die öffentliche Verwaltung einer der größten Arbeitgeber in Österreich überhaupt ist. Circa 330.000 Menschen arbeiten hier – exklusive Gesundheit/Sozialwesen (insgesamt circa 500.000) und Erziehung/Unterricht (insgesamt circa 330.000). Wie viele Juristen in der öffentlichen Verwaltung unterkommen, hat also Auswirkungen auf den gesamten Juristen-Arbeitsmarkt.
Berücksichtigen muss man dabei freilich zweierlei: Erstens, eine gleichbleibende Zahl von Planstellen in der Justiz bedeutet nicht etwa einen Aufnahmestopp. Es gehen ja laufend Erwerbstätige in Pension. Ein „Fortschreiben der Planstellen“ bedeutet, dass diese Abgänge alle nachbesetzt werden. Zweitens, das Justizressort ist bei weitem nicht der einzige Bereich der öffentlichen Verwaltung, welcher große Zahlen an Juristen beschäftigt. In vielen anderen Bereichen – sowohl auf Bundes- wie auch auf Landesebene – arbeiten auch sehr viele Juristen. Und dort sind teilweise sogar Erhöhungen der Planstellen vorgesehen.
Wo liegen aktuell die Einstiegsgehälter für Konzipient:innen in Wien?
Ich sehe in Wiener Anwaltskanzleien für Rechtsanwaltsanwärter ohne Berufserfahrung (außer Gerichtsjahr und Praktika) und ohne Zusatzqualifikationen (Doktorat, LLM) zwischen EUR 2.600 und EUR 4.300. Die meisten Einstiegsgehälter liegen zwischen EUR 2.800 und EUR 3.600 und steigen ein Mal bald nach dem Probemonat und dann wieder mit der großen LU.
Viele Absolvent:innen sind überrascht, wie unterschiedlich bezahlt wird – auch ohne objektiv große Unterschiede in der Qualifikation. Welche Faktoren entscheiden Ihrer Meinung nach tatsächlich über das Gehalt?
Vorab: So groß sind die Unterschiede auch wieder nicht. EUR 3.600 brutto sind netto nur um EUR 250 mehr als EUR 3.200 brutto. Wir sprechen also von einem White Chocolate Mocha Venti am Tag.
Rechtsanwaltsanwärter müssen selbst beurteilen, ob Ihnen ein bestimmter Arbeitgeber ein Starbucks-Getränk pro Tag mehr oder weniger wert ist. Unterschiede bestehen nicht nur in ganz soften Faktoren wie dem Ruf einer Anwaltskanzlei. Unterschiede bestehen auch dabei, wie umfassend man ausgebildet wird. Will ich drei Jahre lang vorwiegend zum Beispiel Kartellrecht (oder vorwiegend Vergaberecht) machen mit dem Ergebnis, dass ich nachher nur zwei Dutzend potentielle Arbeitgeber in Wien habe? Unterschiede bestehen weiters auch dabei, wie gut man auf die Rechtsanwaltsprüfung vorbereitet wird. Will ich drei Jahre lang vorwiegend zum Beispiel im Kartellrecht (oder vorwiegend im Vergaberecht) arbeiten und mich so dem Risiko aussetzen, die Prüfung zwei Mal machen zu müssen?
Aber auch wenn man auf das Geld schaut: Nur die Konzipientenjahre zu sehen ist wohl kurzsichtig. Man sollte seine Karriere als Ganzes berücksichtigen. Bei der Uni-Auswahl schaut man ja auch nicht nur darauf, welches Studium man mit dem niedrigsten Aufwand abschließen kann.
Sie sprechen von einer „Bewegung“ im Markt. Was genau bewegt sich derzeit – und für wen wirkt sich das eher positiv, für wen eher negativ aus?
Die öffentliche Hand ist der größte Juristen-Arbeitgeber. Wenn da die Zahl der Juristen-Neueinstellungen langsamer steigt als bisher … aber gleichzeitig die Zahl der jährlichen Jus-Absolventen weitgehend unverändert weiter ansteigt … dann bedeutet das eine Erhöhung des Angebots an Juristen für den Rest der Juristen-Arbeitgeber – und damit auch für die Anwaltskanzleien.
Einer der Treiber scheint also der Aufnahmestopp im öffentlichen Dienst zu sein. Inwiefern verändert das das Machtverhältnis zwischen Kanzleien und Bewerber:innen?
Nur sehr mittelbar. Zum Einen steht die von mir hier beschriebene Entwicklung noch ganz am Anfang. Es wird noch mindestens ein Jahr dauern, bis sie wirklich spürbar wird. Zum Anderen steht dieses „zusätzliche Angebot“ an Juristen ja nicht etwa ausschließlich den Anwaltskanzleien zur Verfügung. Es gibt ja auch noch andere freie Berufe wie insbesondere die beiden Wirtschaftstreuhänderberufe sowie den gesamten privaten Sektor. Aber ja, ein bisschen zu spüren bekommen werden es die Personaler in den Anwaltskanzleien wohl in etwa zwölf Monaten.
Sie sprechen auch oft über die Rolle von KI-Tools. Wie konkret verändert deren Einsatz den Bedarf an jungen Jurist:innen – speziell in der Phase der Konzipient:innenausbildung?
Das Angebot an KI-Tools steigt. Viele der Kinderkrankheiten sind auch schon beseitigt. KI-Tools helfen weiters nicht mehr nur bei der juristischen Recherche sondern auch in vielen anderen Bereichen der anwaltlichen Arbeit. Und auch für etliche ganz allgemeine, also nicht anwalts-spezifische, Tätigkeiten wie zum Beispiel Terminvergabe gibt es bereits zahlreichen durchaus brauchbare KI-Anwendungen. Das alles führt dazu, dass der Personalbedarf in Anwaltskanzleien – langsam aber doch – sinkt.
Aus der Warte eines Junganwaltes zum Beispiel: Früher ein Mal war die Arbeitsbelastung für einen durchschnittlich erfolgreichen Einsteiger im Anwaltsbusiness nach circa 18 Monaten so hoch, dass es nicht länger nur mit studentischen Mitarbeitern ging. Heute erlauben es technischen Hilfsmittel, dass diese Schmerzgrenze erst nach 24 oder sogar 36 Monaten erreicht wird.
Aber nicht nur quantitativ verändern KI-Anwendungen den Konzipienten-Arbeitsmarkt. Zahlreiche früher einmal „typische Konzi-Arbeiten“ werden heute von KI erledigt. Nicht nur das Zusammentragen von Literatur und Judikatur lässt der Anwalt heute lieber von AI:ssociate und Co statt von einem Konzipienten machen. Ein anderes oft zitiertes Beispiel ist das Zusammenfassen von Gerichtsurteilen: Auch das können gängige Anwendungen schneller, fehlerfreier und billiger als jeder Mensch. Und dann wären da natürlich die früher in der Ausbildungszeit allgegenwärtigen Due Diligences. Nach vielen Jahren scheint es heute endlich wirklich so weit zu sein: Der Mensch wird bei einem Gros der Due Diligence – Arbeit von der Maschine abgelöst.
Könnte es langfristig dazu kommen, dass klassische Konzipient:innenarbeit – Recherche, einfache Entwürfe – ganz oder teilweise durch KI ersetzt wird?
Ja, langfristig wird das ganz sicher kommen. Die Frage ist nur wann. Bei der juristischen Recherche sind KI-Anwendungen in sehr vielen Kanzleien heute schon unverzichtbar. Bis Menschen für alltägliche juristische Recherche gänzlich ersetzt werden, wird es sicherlich noch viele Jahre dauern. Beim Verfassen von Standardtexten ist es umgekehrt: Sehr viele Kollegen fremdeln noch ein wenig damit sich Texte von einem LLM vorformulieren zu lassen. Aber in wenigen Jahren wird das wohl die Regel sein.
Wie können junge Jurist:innen sich Ihrer Meinung nach heute positionieren, um in einem sich wandelnden Markt trotzdem attraktiv für Kanzleien zu bleiben?
Der sicherste Weg ist, das Handwerk von der Pieke an zu erlernen. Wer nur die Antworten auf juristische Fragen liefern kann, und das womöglich auch noch mit Hilfe von Walkthroughs, wird wahrscheinlich nie ein Anwalt … aber selbst wenn er es irgendwie doch dorthin schafft, so wird er ganz sicher von der KI ersetzt werden. Nur wer im Stande ist, die Problemstellung wirklich zu verstehen, nur wer juristisch kreativ ist, nur wer Theorie in die Praxis umsetzen kann – wird auch in zehn oder 20 Jahren noch gefragt sein. Mechanisch auf Fragen eine Antwort formulieren, ist keine Dienstleistung, für welche in der Zukunft noch Geld bezahlt wird.
Der Anwalt muss verstehen, was das Problem des Mandanten ist – nicht nur hören, was der Mandant sagt. Der Anwalt muss auch dort, wo es kein passendes Judikat gibt, ein Argument finden – nicht nur aus Datenbanken das am ehesten passende Argument herausklauben. Der Anwalt muss Schreiben und mündliches Vorbringen an sein jeweiliges Gegenüber anpassen – nicht nur etwas objektiv Richtiges von sich geben.
Und zum Schluss: Wenn Sie heute Konzipient wären - worauf würden Sie besonders achten bei der Kanzleiwahl und dem Einstieg ins Berufsleben?
Eine wirklich umfassende Ausbildung wäre mir am wichtigsten. Ich will mir mit meiner Konzipientenzeit ja die Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern und nicht etwa die Zahl der potentiellen Arbeitgeber einschränken. Für eine Spezialisierung ist auch nach der Anwaltsprüfung immer noch mehr als genug Zeit. Eine gute Vorbereitung auf die Rechtsanwaltsprüfung wäre mir ebenfalls sehr wichtig. Die Prüfung nicht auf Anhieb zu bestehen, wäre ein Verlust von mehreren Monaten an Zeit. So ein Risiko will ich nicht eingehen – auch nicht, wenn ich mir dafür während meiner Anwärterzeit jeden Tag einen Pumpkin Spice Latte kaufen kann.
Da ich später ein Mal Anwalt werden möchte, würde ich außerdem eine Kanzlei wählen, wo ich auch etwas über den kaufmännischen Aspekt des Anwaltsberuf lerne. Ich würde wissen wollen, was die wirtschaftlich erfolgreichen, von den nicht ganz so erfolgreichen Rechtsanwälten unterschiedet. Wie gelingt es einer Minderheit, sich von der breiten Masse abzuheben?
Dr. Alexander T. Scheuwimmer, MBA
Rechtsanwalt
Gründer der internationalen Wirtschaftskanzlei TAIYO Legal
www.taiyolegal.at
Präsident des Juristenverbandes
www.juristenverband.at
Haubengastronom
