Vereinbarkeit von Beruf und Familie – ein Thema, das viele Branchen betrifft, aber in der Anwaltei oft besonders herausfordernd ist. Dr. Katharina Trettnak-Hahnl, Partnerin bei KWR Rechtsanwälte, und Dr. Günther Gast, Partner bei CHG Rechtsanwälte, haben sich des Themas angenommen und mit einem Positionspapier konkrete Vorschläge für mehr Flexibilität bei Kammerbeiträgen und eine Durchlässigkeit des Pensionssystems präsentiert.
Im Gespräch mit LawFinder berichten die beiden, warum gerade junge Eltern im Anwaltsberuf häufig vor besonderen Hürden stehen, wie sich diese mit vergleichsweise einfachen Maßnahmen abbauen lassen und warum ein Umdenken nicht nur Eltern, sondern dem gesamten Berufsstand zu gute kommt. Außerdem sprechen sie über persönliche Erfahrungen, strukturelle Herausforderungen und darüber, wie die Anwaltei in Zukunft aussehen sollte, damit Beruf und Familie selbstverständlich miteinander vereinbar sind.
Frau Dr. Trettnak-Hahnl, Herr Dr. Gast – was war der konkrete Auslöser für die Erstellung dieses Positionspapiers? Gab es ein persönliches Erlebnis oder einen wiederkehrenden Missstand, der Ihnen besonders ins Auge gefallen ist?
Gast: Konkreter Anlass war, dass es in den letzten Jahren zusehends schwieriger wurde, junge Jurist:innen für den Berufseinstieg als Rechtsanwaltsanwärter:innen zu gewinnen und nach bestandener Rechtsanwaltsprüfung im Beruf zu halten. Es kam immer wieder das Argument, Kinderbetreuung neben der Anwaltei sei zu schwierig, auch weil es keine Möglichkeit der Reduzierung von Kammerbeiträgen für Zeiten der Kinderbetreuung gäbe.
Trettnak-Hahnl: Diesen Bericht und die Ergebnisse aus zahlreichen Gesprächen kann ich nur teilen. Hinzu kommt, dass die Durchlässigkeit der Pensionssysteme hemmend wirkt. Oft gehen Pensionsjahre verloren oder müssen teuer nachgekauft werden. Ein Wechsel zwischen dem staatlichen Pensionssystem und dem Kammersystem ist kein einfaches Unterfangen.
Laut Ihrem Papier ist eine selbstständige Rechtsanwältin mit 50 % Berufsausübung wirtschaftlich schlechter gestellt als eine Teilzeitkraft in der Privatwirtschaft – bei weniger Absicherung. Wie erklären Sie sich, dass dieses Missverhältnis bislang zwar viele aus der Anwaltei getrieben hat, aber dennoch wenig Beachtung fand?
Gast: Die Ausübung der Rechtsanwaltschaft bringt auch viele Chancen mit sich, bis hin zu guten Verdienstmöglichkeiten. Leute, die im Beruf zufrieden sind, verspüren keinen Druck zur Änderung des Systems. Alle aus dem Beruf Ausscheidenden investieren keine Energie mehr in das bisherige berufliche Umfeld. Somit kommt erst dann Bewegung zur Änderung des bestehenden Systems, wenn es auch für die Zufriedenen schwierig wird, Mitarbeiter:innen zu finden.
Trettnak-Hahnl: Wenn ich dazu ergänzen darf. Es fanden zahlreiche Gespräche statt und es gab auch immer Bemühungen und Bestrebungen unserer Standesvertretung. Wir glauben, dass dieses Thema vielschichtig ist und immer wieder aufzugreifen ist. Wir haben uns einen ersten Aspekt herausgesucht und das sind die finanziellen Aspekte, die wir in unserem Positionspapier aufgreifen.
Warum verlassen viele Kolleg:innen den Anwaltsberuf bereits nach der Konzipient:innenzeit – und kehren später auch nicht mehr zurück?
Gast: Es ist ein etablierter Weg, die Anwaltsprüfung zu absolvieren und anschließend in der Privatwirtschaft oder im öffentlichen Dienst Karriere zu machen. Das Sprungbrett Anwaltsprüfung funktioniert. Die Rückkehr aus anderen Berufsbereichen wird aber durch die mangelnde Anrechnung erworbener Pensionsjahre erschwert. Zudem werden nun immer mehr junge Leute abgehalten, nur für die Anwaltsprüfung einzusteigen. Das Argument verlorener Pensionsjahre kommt immer wieder im Gespräch.
Sie fordern eine gestaffelte Beitragsermäßigung sowie die Möglichkeit eines solidarischen Nachkaufs. Warum ist gerade diese Flexibilisierung ein Gamechanger für junge Eltern in der Anwaltei?
Trettnak-Hahnl: In den letzten Jahren gab es – und das können wir beide als Eltern, die diese Möglichkeiten nicht in Anspruch nehmen konnten, gut beurteilen – durchaus erhebliche Änderungen. Ruhendstellungen und Reduktionen von Beiträgen sind bereits implementiert; aktuell sind Vereinbarungsmodelle (oft auch als Karenzmodelle bezeichnet) in der Abstimmung. Da kommt und kam Bewegung ins Spiel. Kinderbetreuung hört aber mit dem 2. Lebensjahr des Kindes nicht auf. Vielmehr ist es notwendig, Flexibilitäten zu schaffen und das haben wir in unserem Positionspapier als Beispielsmodell versucht aufzuzeigen. Ja, finanzielle Flexibilität und Selbstentscheidung sind ein Gamechanger für junge Eltern.
Gast: Wenn jemand nur Teilzeit arbeitet, aber die vollen Kammerbeiträge leisten muss, wird es wirtschaftlich uninteressant. Wenn die Kinder groß sind und sich jemand wieder auf den Beruf konzentrieren kann, können Pensionsjahre nachgekauft werden. Diese relativ einfachen Maßnahmen machen die Kinderbetreuung in der Anwaltei einfacher. An dieser Stelle kommt jedoch die von uns geforderte Senkung des Preises für den Nachkauf von Pensionsjahren, welche wegen Kinderbetreuungspflichten nachgekauft werden müssen ins Spiel. Die aktuellen Kosten für einen Nachkauf sind derart hoch, dass sich ein Nachkauf oft faktisch nicht rentiert und daher auch in den meisten Fällen nicht in Anspruch genommen wird. In Zahlen ausgedrückt: der Nachkauf eines Monats kostet derzeit 1.550 EUR, also 18.500 EUR für ein Beitragsjahr. Erst nachdem die betroffene Person für 10-15 Jahre Pension bezieht, rentiert sich diese Investition im Rahmen der dadurch entstehenden höheren Pensionszahlungen. Also bei einem Pensionsantrittsalter von ca. 70 Jahren ab einem Alter von 80 – 85 Jahren.
Was sind aus Ihrer Sicht die größten Missverständnisse über Elternschaft und berufliche Leistungsfähigkeit im juristischen Umfeld?
Gast: Kinderbetreuung und Leistungsfähigkeit schließen sich nicht wechselseitig aus. Niemand kann unzählige Stunden ohne Leistungsverlust arbeiten. Wenn jemand neben der Kinderbetreuung zB 20 Stunden pro Woche arbeitet, sind das in der Regel qualitativ hochwertige 20 Stunden. Die Leistungsfähigkeit ist also auch neben der Kinderbetreuung voll gegeben.
Trettnak-Hahnl: Nur als ergänzender Gedanke - Leistungsfähigkeit wird eben oft mit Effizienz und Organisationsfähigkeit verwechselt. Unserem Berufsstand sind Selbstverwaltung und unsere rechtsstaatliche Stimme immanent. Warum sollen wir Elternschaft und unseren Beruf denn nicht unter eine Hut bekommen?
Frau Dr. Trettnak-Hahnl, Sie sind selbst erfolgreiche Partnerin in einer Kanzlei. Welche persönlichen Hürden haben Sie in Ihrer Karriere erlebt – und was würden Sie jungen Kolleginnen heute raten?
Trettnak-Hahnl: Unterschiedlichste Modelle und Weggabelungen, Entscheidungen, Austausch mit vielen Kolleg:innen haben mir ermöglicht, meinen Weg zu gehen. Ich würde vielleicht auch negative Erfahrungen, Modelle, die ich nicht umsetzen würde, nie als Hürde sehen. Im Gegenteil: mich haben jeglicher Input und jegliche Erfahrung immer dazu angeregt, selbst zu entscheiden. Als Hürden würde ich diese Erfahrungen und Möglichkeiten niemals bezeichnen. Daher meine Empfehlung an junge Kolleginnen: fragen Sie nach, seien Sie kritisch für sich, entscheiden Sie dann.
Herr Dr. Gast, Sie engagieren sich für mehr Gerechtigkeit im Berufsstand. Welche strukturellen Reformen sehen Sie über das Beitragswesen hinaus als notwendig, um den Anwaltsberuf zukunftsfähig zu gestalten?
Gast: Ich bin aber überzeugt, nicht nur auf das eigene Wohl, sondern in den beruflich erfolgreichen Jahren auch auf die nächste Generation schauen zu müssen. Ich würde eine Flexibilisierung der Arbeitszeit für Anwält:innen und generell mehr Weitblick der Anwaltschaft in die Zukunft begrüßen. Derzeit ändern sich mit KI viele Berufe, auch der Anwaltsberuf. Ich bin überzeugt, dass Anwälte nicht durch KI ersetzt werden, aber die KI kann uns in der Arbeit unterstützen. Dazu braucht es mehr Aufgeschlossenheit.
Welche Reaktionen haben Sie bisher auf das Positionspapier erhalten – von Kolleg:innen, aber auch von der Kammer?
Trettnak-Hahnl: Wir sind ohne große Erwartungen mit dem Papier online gegangen und haben rasch viele positive Rückmeldungen erhalten, dass die angesprochenen Änderungen höchste Zeit sind und endlich nicht nur junge Anwältinnen das Thema ansprechen. Wir erhielten auch viele Rückmeldungen vor allem von Juristinnen in anderen Branchen, die aufgrund der angesprochenen Nachteile die Anwaltei bereits verlassen haben.
Gast: Wir hatten auch bereits unmittelbar nach der uns selbst gesetzten Frist für ein erstes Umfrageende ein Gespräch mit ÖRAK-Präsident Dr. Utudjian sowie Generalsekretär-Stellvertreterin Mag.a Koch zu unserem Anliegen. Der von uns angesprochene Themenbereich der Durchlässigkeit zwischen Pensionssystem und Versorgungseinrichtungen war am selben Tag Gegenstand eines Dialogs mit Sozialministerin Korinna Schumann. Wir freuen uns wirklich sehr, dass hier Bewegung ins Spiel kommt und eine gemeinsame Arbeitsgruppe im Ministerium eingerichtet wird.
Mit der ÖRAK wurde besprochen, dass zur Schaffung von Flexibilitäten für Kolleginnen und Kollegen mit Kinderbetreuungspflichten Berechnungen angestellt werden und im Herbst weitere Gespräche stattfinden werden. Wir sehen dies als positiven Weg. Um aber weiterhin Kolleginnen und Kollegen die Möglichkeit der Unterstützung zu geben, haben wir die Umfrage offengelassen. Wer unser Anliegen unterstützen möchte, kann dies daher tun.
Hier können Sie Ihre Unterstützung abgeben: Unterstützungserklärung für die Umfrage "Berufsausübung als Rechtsanwalt/Rechtsanwältin mit betreuungspflichtigen Kindern - erforderliche Änderungen im Beitragswesen und im Pensionssystem Survey
Was würde sich Ihrer Einschätzung nach ändern, wenn Ihre Vorschläge umgesetzt würden – nicht nur für Eltern, sondern für den Berufsstand im Allgemeinen?
Trettnak-Hahnl: Wir sind davon überzeugt, dass es wieder leichter würde, junge Leute für unseren Beruf zu begeistern und damit langfristig etwas beizutragen. Unser Beruf ist schon per se dynamisch und von der Notwendigkeit der Flexibilität getragen. So soll auch unser Zugang zu unterschiedlichen Lebensmodellen sein.
Gast: Vereinbarkeit von Beruf und Familie soll eine gelebte Selbstverständlichkeit werden. Wir glauben, dass wir mit unserem Anliegen weitere Schritte in die richtige Richtung setzen.
Warum ist es Ihrer Meinung nach auch im Sinne der Kammer, flexible Beitragsmodelle zuzulassen, obwohl das kurzfristig weniger Einnahmen für diese bedeutet?
Gast: Die Rechnung ist einfach: besser sind Kammermitglieder in Teilzeit, die ermäßigte Kammerbeiträge leisten, als auf diese Kammermitglieder gleich ganz verzichten zu müssen. Jede Rechtsanwältin und jeder Rechtsanwalt, der dem System dauerhaft erhalten bleibt, trägt langfristig zur Stabilität der Versorgungseinrichtung und der Kammerfinanzierung bei. Zudem zeigt unser Rechenbeispiel im Positionspapier eindrücklich, dass eine in Teilzeit tätige Anwältin, der nach Abzug aller Fixkosten oft nicht mehr als rund 2.100 € monatlich zur Verfügung bleiben, derzeit den gleichen Beitrag zur Pensionsvorsorge leisten muss wie jemand, dessen Einkommen ein Vielfaches beträgt. Wir möchten hier keineswegs einzelne Kammermitglieder gegeneinander ausspielen. Aber es ist legitim und notwendig, aufzuzeigen, dass eine Flexibilität nicht nur fairer wäre, sondern das gesamte System langfristig zukunftsfähiger machen würde.
Wie kann jede:r Einzelne zur Veränderung beitragen – auch jene Kolleg:innen, die (noch) keine Betreuungspflichten haben?
Trettnak-Hahnl: Mit Verständnis und Solidarität für die Situation von Kolleginnen und Kollegen mit Kinderbetreuungspflichten. Auch das Rechtsanwaltskammersystem baut bereits jetzt auf differenzierten Entscheidungsmöglichkeiten etwa im Pensionsteil B auf.
Wenn Sie sich eines wünschen dürften: Wie sollte die Anwaltei in 10 Jahren aussehen – insbesondere für jene, die beruflich Verantwortung und familiäre Fürsorge gleichzeitig tragen?
Gast: Anwält:innen leisten viel und gute Arbeit. Verständnis dafür, dass niemand rund um die Uhr erreichbar ist und nicht jede Anfrage binnen kürzester Zeit abgearbeitet werden muss, würde schon einiges erleichtern. Für manche Leistungen gibt es tatsächlich Eile, bei vielen Leistungen ist der Zeitdruck aber überzogen.
Trettnak-Hahnl: Verantwortung im beruflichen Alltag sowie in der familiären Fürsorge sind wichtige Eckpfeiler unserer Gesellschaft, die gut kombinierbar und verschränkbar sind. Dafür braucht es individuelle Möglichkeiten aber auch vorgelebte Modelle und Rahmenbedingungen. In 10 Jahren sollten wir solche Diskussionen nicht mehr führen müssen. Familie und Beruf sollen selbstverständlich sein; das würde ich mir wünschen.
Welche Botschaft würden Sie jungen Kolleg:innen mitgeben, die sich unsicher sind, ob sie mit Betreuungspflichten den Weg in die Anwaltei wagen sollen?
Gast: In unseren beiden Kanzleien sind Kinderbetreuung und Berufsausübung möglich und wird dies aktiv unterstützt. Auch in vielen anderen Kanzleien sind Kinderbetreuung und Teilzeitarbeit möglich und gern gesehen. Insgesamt ist der Beruf Rechtsanwält:in ein sehr abwechslungsreicher, kurzweiliger und spannender. Wir können ihn nur weiterempfehlen.
Trettnak-Hahnl: Wenn junge Juristinnen und Juristen unsicher sind, laden wir alle gerne ein, in unseren Beruf hineinzuschnuppern.
Vielen Dank für Ihre Zeit und diese überaus wichtige Initiative. Wir wünschen weiterhin viel Erfolg!